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Fachbeiträge "Aufsicht im Museum / QEM"

Arbeiten nach Stechuhr?

Europäischer Gerichtshof fordert konsequente Zeiterfassung

Archive, Bibliotheken, Museen u.a. kulturbewahrende Einrichtungen sind ganz gewöhnliche Unternehmen – zumindest, wenn es um die Einhaltung und Erfassung der Arbeits- und Dienstzeiten geht.

Gesundheitsschutz ist hohes Gut

„Mit Urteil vom 14. Mai 2019 (C-55/18) hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden, dass die Mitgliedstaaten Arbeitgeber dazu verpflichten müssen, ein System einzurichten, mit dem die tägliche Arbeitszeit der Mitarbeiter gemessen werden kann. Die Mitgliedstaaten müssen alle erforderlichen Maßnahmen treffen, dass den Arbeitnehmern die täglichen und wöchentlichen Mindestruhezeiten und die Obergrenze für die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit der Arbeitszeitrichtlinie tatsächlich zugutekommen. Nur so könne der durch die EU-Grundrechtecharta und die Arbeitszeitrichtlinie bezweckte Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer tatsächlich einer Kontrolle durch Behörden und Gerichte zugeführt werden.“ (Anm. 1)
Welche praktischen Folgen dieses Urteil für die Betriebe hat, ist umstritten. Während z.B. das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung davon ausgeht, dass die Arbeitszeiten einschließlich Überstunden bereits jetzt weitgehend erfasst werden, sieht der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) das anders: „Schätzungen zufolge erfasst bisher jeder fünfte Arbeitnehmer seine Arbeitszeiten nicht. Für Marta Böning vom DGB ist die Entscheidung des Gerichts daher wichtig, um eine lückenhafte Regelung zu schließen. Gegenüber dem SPIEGEL erklärte sie: `Dieses Urteil ist die logische Konsequenz von bisher geltenden Regelungen: Die Arbeitszeit ist täglich auf acht Stunden begrenzt, tägliche und wöchentliche Ruhezeit müssen gewährt werden. Aber ohne die Erfassung bleibt es in manchen Branchen bei einer wirkungslosen gesetzlichen Regelung.´ Für Böning liegt die Annahme nahe: `In Unternehmen, in denen die Arbeitszeit nicht erfasst wird, wird mehr gearbeitet. Arbeit wird dann manchmal mit nach Hause genommen, ohne dass das dokumentiert wird.´“ (Anm. 2)

Und die Wissensarbeit?

Für Unternehmen im kreativen Sektor und ihre Angestellten könnte es nun komplizierter werden. Oft ist zu hören, dass z.B. die Arbeit an Texten erst dann so richtig kreativ ist, wenn das Tagesgeschäft ruht, also nach 18 Uhr oder am Wochenende. Wissensarbeiter „können ihre Arbeit nicht so einfach zurücklassen wie ein Fabrikangestellter die seine, wenn er nach Schichtende das Werk verlässt. Die Arbeit im Kopf geht dann oft weiter, und so verschwimmen zwangsläufig auch die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit. In vielen Unternehmen gibt es heute eine Vertrauensarbeitszeit, niemand protokolliert sie so richtig. (…) Das man künftig jeden einzelnen Gedankengang protokollieren müsse, hält der Arbeitsrechtler Wittek für abwegig. `Entscheidend ist, wo der Schwerpunkt der jeweiligen Tätigkeit liegt. Einen Geistesblitz beim Sonntagsspaziergang wird man eher nicht als Arbeitszeit einstufen. Beim abendlichen Lesen und Schreiben beruflicher E-Mails ist das allerdings anders, weil das in dem Moment die volle Aufmerksamkeit erfordert. Späte E-Mails sind jedoch heikel: Die gesetzlich vorgeschriebene elfstündige Ruhezeit ist danach bis zum nächsten Morgen kaum mehr einzuhalten.“ (Anm. 3)

Flexible Zeiterfassung

Der EuGh fordert die EU-Mitglieder auf, das Urteil rasch in nationales Recht umzusetzen. Dabei bleibt die genaue Ausgestaltung den einzelnen Regierungen überlassen, auch wegen branchen- oder unternehmensspezifischer Eigenheiten. „Um die praktische Wirksamkeit der von der Arbeitszeitrichtlinie und der Charta verliehenen Rechte zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber daher verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Es obliegt den Mitgliedstaaten, die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems, insbesondere der von ihm anzunehmenden Form, zu bestimmen und dabei gegebenenfalls den Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs oder Eigenheiten, sogar der Größe, bestimmter Unternehmen Rechnung zu tragen.“ (Anm. 4)
Technische Lösungen für die Erfassung von Wissensarbeit gibt es. „Die Spanne reicht von klassischen Zeiterfassungssystemen wie TimeTac über Apps wie Clockodo bis hin zu Spielereien wie dem Timeular-Würfel, den man auf die mit `Konferenz´, `Telefonieren´, `Nachdenken´ oder anders beschriftete Seite stellt und der die Daten selbst anlegt. Viele einfache Erfassungssysteme sind dabei gar nicht einmal für Angestellte, sondern für Freiberufler entwickelt worden, die auch herausfinden müssen, welchen Aufwand ihre Projekte erfordern.“ (Anm. 5) Schwieriger dürfte es jedoch werden, die gerade in Schwung gekommenen Ansätze zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben beizubehalten und weiter zu entwickeln.

Anm. 1: Claudia Knuth, Arbeitszeiterfassung: EuGH schafft neue Pflicht für Unternehmen, in: Haufe, 15.05.2019; Quelle: https://www.haufe.de/personal/arbeitsrecht/pflicht-zur-umfassenden-arbeitszeiterfassung_76_484268.html; Abfrage: 22.07.2019
Anm. 2: Franca Quecke, Was das EuGH-Urteil für Arbeitnehmer bedeutet. In Zukunft müssen Unternehmen die Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter genau erfassen. Was bedeutet das für deutsche Arbeitgeber und -nehmer? Die wichtigsten Antworten, in: SPIEGEL ONLINE, 14.05.2019; Quelle: https://www.spiegel.de/karriere/arbeitszeiterfassung-welche-folgen-hat-das-eugh-urteil-a-1267343.html; Abfrage: 22.07.2019
Anm. 3: Marcus Rohwetter, Keine Stunde mehr zu viel? Arbeitszeiten müssen künftig konsequenter erfasst werden, fordert der Europäische Gerichtshof. Das hat Folgen, in: Die ZEIT, 23. Mai 2019, S. 25.
Anm. 4: Gerichtshof der Europäischen Union: Urteil in der Rechtssache C-55/18, Pressemitteilung Nr. 61/19, 14.05.2019; Quelle: https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2019-05/cp190061de.pdf; Abfrage: 22.07.2019
Anm. 5: Rohwetter, a.a.O.

Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb, zwei 2019, S. 64 f.