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Fachbeiträge "Aufsicht im Museum / QEM"

Ein Einbruch und seine Folgen

Staatliche Kunstsammlungen Dresden gehen in die Offensive

Der 25. November 2019 ist ein Schock für die Kunstwelt: Eine Bande bricht nachts in das Historische Grüne Gewölbe ein und entkommt mit 21 Schmuckstücken, besetzt mit Diamanten und Brillanten. Der materielle Wert der Beute aus der weltberühmten Schatzkammer im Dresdner Residenzschloss wird mit deutlich über 100 Millionen Euro beziffert. Schon bald heißt es, dass der Coup nur aufgrund von Insiderwissen habe gelingen können.

Strafrechtliche Konsequenzen

Mitte Mai 2023 verurteilt das Landgericht Dresden fünf junge Männer, die aus dem Berliner Remmo-Clan stammen, zu mehrjährigen Haftstrafen. Sie seien der besonders schweren Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, des Diebstahls mit Waffen, der Sachbeschädigung und vorsätzlichen Brandstiftung schuldig. Obwohl das Urteil auf einem Deal zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft beruht, dessen Kern die Rückgabe der Beute ist, legen alle Verurteilten Revision ein.

Zivilrechtliche Konsequenzen I

In einem sog. Adhäsionsverfahren macht der Freistaat Sachsen als Eigentümer nun zivilrechtliche Ansprüche gegen die Täter geltend. Dabei geht es um die noch fehlenden und zugleich wertvollsten Preziosen, ferner um die teils stark beschädigten zurück gegebenen Schmuckstücke sowie um Reparaturen an den zerstörten Vitrinen und am Museumsgebäude selbst. Der Freistaat fordert Schadensersatz in Höhe von fast 89 Millionen Euro. „Die Strafkammer bejahte einen generellen Anspruch auf Schadenersatz. Sie lehnte die aufwendige Wertermittlung zum Schmuck mittels Sachverständigengutachten mit Verweis auf die unangemessene Verzögerung des Prozesses aber ab.“ (Anm. 1) Ob bei den mutmaßlichen Tätern etwas zu holen sein wird?

Zivilrechtliche Konsequenzen II

Aufhorchen lässt folgende Mitteilung: Der Freistaat Sachsen hat beim Landgericht Dresden Klage gegen die Dresdner Sicherheitsfirma eingereicht, die das Residenzschloss bewacht. Im Zuge der bereits im Dezember 2022 eingegangenen Klage „werden ein Teil des Diebstahlschadens in Höhe von 15 Millionen Euro sowie 316.000 Euro für Sachschäden an dem Museumsgebäude und Einrichtungen geltend gemacht. Aus Sicht des Freistaates hat der Wachdienst fehlerhaft gearbeitet.“ (Anm. 2) Der Freistaat Sachsen knüpft mit diesem Schritt an den bereits früh geäußerten Verdacht an, die Sicherheitsfirma trage zumindest eine Teilschuld am Einbruch in das Historische Grüne Gewölbe. Tatsächlich hat die Staatsanwaltschaft Dresden „Ermittlungen gegen vier Wachleute wegen des Verdachts der Beihilfe zum schweren Bandendiebstahl geführt. Gegenstand der Ermittlungen waren teils Handlungen im Vorfeld des Einbruchs (mögliche Übergabe von sicherheitsrelevanten Unterlagen an die Täter und Nicht-Scharfschalten eines bestimmten Alarmsensors), teils der Vorwurf, die Betreffenden hätten im Zusammenhang mit dem Einbruch nicht adäquat reagiert und den Diebstahl nicht verhindert. Im Ergebnis der umfangreichen Ermittlungen konnte ein hinreichender Tatverdacht gegen keinen der vier Beschuldigten begründet werden, so dass die Staatsanwaltschaft Dresden nunmehr die Ermittlungsverfahren gegen alle vier Beschuldigte gemäß § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung eingestellt hat. Weder die Übergabe von Unterlagen noch persönliche Kontakte zwischen den Wachleuten zu den sechs Angeklagten im laufenden Prozess wegen des Einbruchs waren im Zuge der Ermittlungen nachweisbar.“ (Anm. 3)
Dennoch geht der Freistaat Sachsen zivilrechtlich gegen das Sicherheitsunternehmen aus Dresden vor. „Aus Sachsen-Sicht soll der Wachdienst damals fehlerhaft gearbeitet haben. Wie BILD bereits berichtete, hatten die Wachleute bspw. den Notruf 110 gewählt und sich mit der Einsatzzentrale der Polizei verbinden zu lassen. Den Alarmknopf betätigten sie nicht. Fehlten deshalb am Ende die entscheidenden Augenblicke, die Kunsträuber noch vor Ort zu fassen? In einem Zivilverfahren soll nun die Schuldfrage geklärt werden.“ (Anm. 4)

Sicherheit rückt in den Fokus

Der bevorstehende Rechtsstreit zwischen dem Freistaat Sachsen und der (noch) für die Kunstsammlungen Dresden tätigen Sicherheitsfirma ist noch nicht terminiert, könnte aber Folgen haben, die weit über den konkreten Fall in Dresden hinausreichen. Inzwischen befassen sich bundesweit immer mehr Kulturbetriebe, Verbände (z.B. Deutscher Museumsbund) und politisch Verantwortliche damit, wie die Bestände besser geschützt werden können. (Anm. 5) Neben den zu erwartenden baulichen, mechanischen, elektronischen und konzeptionellen Vorkehrungen wird sicherlich auch die personelle Sicherheit in den Fokus notwendiger Verbesserungen rücken. Eine Schaltstelle dabei ist die Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern. Wach-, Schutz- und Serviceaufgaben und die daraus resultierenden Verantwortlichkeiten werden noch genauer zu definieren und so abzustimmen sein, dass das erwünschte Sicherheitslevel jederzeit und lückenlos erreicht und gehalten wird. In der Folge werden die Verträge mit den Dienstleistern wohl weiter zu präzisieren sein. Das aber gilt nicht nur für Inhalte und Durchführung der Aufgaben, sondern auch für Auswahl, Ausbildung und Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Service, Aufsicht und Sicherheit. Ein „Weiter so!“ sollte es nicht geben. (Anm. 6)

Exkurs: Zertifikate sind kein Garant für Qualität!

Die Service- und Aufsichtskräfte gelten als „Augen & Ohren“ eines Museums und mit ihrem Wissen und Engagement stehen und fallen bekanntlich auch der Erfolg und die Sicherheit eines Hauses. Der Nachweis nach §34 a Gewerbeordnung, der die Voraussetzung dafür ist, im Auftrag eines Sicherheitsunternehmens fremdes Leben oder Eigentum zu schützen, wird immer häufiger auch für das Eigenpersonal von Museen gewünscht, ist aber weiterhin nicht gesetzlich verpflichtend. Da es hierzulande weder das Berufsbild „Aufsicht im Museum“ noch eine standardisierte und zertifizierte Ausbildung gibt, sind Schulung und Qualifizierung dieser Personengruppe ein gänzlich ungeregelter Markt. In Folge wollen manche Kulturbetriebe auf „Nummer sicher“ gehen und lassen ihr Personal von Anbietern schulen, die wenigstens irgendein Zertifikat vorweisen können. Eine nennenswerte Auswahl gibt es dabei jedoch nicht – etwa ServiceQualität Deutschland (SQD) oder ECHOCAST.

Wichtiger aber: Den Zertifikaten liegen meist Kriterien- und Qualitätskataloge zugrunde, die die Anbieter der Schulungen zuvor selbst erstellt haben. Unklar bleibt, wer die Zertifikate vergibt bzw. die Qualität derselben überprüft. Offenbar gilt: Man regelt, schult, prüft und zertifiziert sich selbst! Bevor man also ein „zertifiziertes“ Unternehmen beauftragt, sollte man beachten: Für die Schulung von Service- und Aufsichtspersonal in Museen existieren hierzulande weder allgemein gültige Inhalte noch verbindliche Formen der Vermittlung und der Prüfung. Folglich gibt es auch keine regulären Abschlüsse, Siegel oder Zertifikate; zumindest keine, die von unabhängigen (mittelbare Staatsverwaltung!) tätigen Prüfgesellschaften oder Zertifizierungsstellen wie z.B. DQS, TÜV oder DEKRA koordiniert, reguliert, kontrolliert oder legitimiert wären. Anbieter, deren Marketing die Existenz von nationalen oder gar internationalen Inhalten und Standards behaupten, kalkulieren mit Unkenntnis, Unsicherheit oder Eitelkeit der Verantwortlichen in den Kulturbetrieben bzw. ihren Trägern. Fazit: Siegel und Zertifikate sind nur begrenzt aussagekräftig. Obendrein können die Kosten Schulungen, die mit Zertifikaten winken, sehr schnell in schwindelerregende Höhe steigen! Aber offenbar sind hierzulande immer noch Kultureinrichtungen bereit, viel Geld für den „schönen Schein“ auszugeben. (Anm. 7) So lange das so ist, geht es unseren Kulturbetrieben wirtschaftlich offenkundig nicht schlecht.

Staatliche Kunstsammlungen sind auf dem Wege

In Dresden hat inzwischen der Prozess der Neuaufstellung begonnen. Unmittelbar nach dem Einbruch in das Historische Grüne Gewölbe hat der Freistaat Sachsen reagiert. Das Residenzschloss ist baulich verändert worden, neue Vitrinen sowie neue Sicherheits- und Schließanlagen wurden installiert. Parallel dazu haben die 15 staatlichen sächsischen Museen einen eigenen Sicherheitsreferenten bekommen. Das Aufgabenspektrum der mit 12 TV-L dotierten Stelle ist weit gefasst. Hier eine Auswahl: „Verantwortliche Erarbeitung von Gefährdungsanalysen zu kriminellen Handlungen gegen das Sammlungsgut und die Gebäude SKD; Entwicklung und Umsetzung von Strategien und Konzepten des Notfall- und Krisenmanagements und zentraler Ansprechpartner; Weiterführung und Anpassung des Sicherheitskonzeptes und Kontrolle durch kontinuierliche Risiko- und Schwachstellenanalyse; Entwicklung und Kontrolle eines Dokumentations- und Unterweisungssystems sowie Sicherstellung der Einhaltung von Vorschriften und Standards in Bezug auf kriminelle Handlungen; Mitwirkung bei der Erarbeitung von Facility Reports.“ (Anm. 8) Damit aber nicht genug, denn zudem wurde eine eigene Sicherheitsabteilung ins Leben gerufen. Dazu hat der Freistaat Sachsen in seinem „aktuellen Doppelhaushalt 36 neue Stellen bewilligt – für einen eigenen landeseigenen Sicherheitsdienst der SKD. Der soll in Ergänzung zum zuständigen Wach- und Sicherheitsdienst für Sicherheit sorgen.“ (Anm. 9)

QEM – Qualifizierte Einbindung von Museumspersonal

Dr. Berthold Schmitt, Trainer von Service- und Aufsichtspersonal in Museen
Wielandstraße 5, 04177 Leipzig
Tel 0049 / 341 / 5296524
mail@schmitt-art.de; www.aufsicht-im-museum.de

Anm. 1: Grünes Gewölbe-Einbruch: Sachsen verklagt Sicherheitsfirma, in: Süddeutsche Zeitung, 30. Mai 2023; Quelle: www.sueddeutsche.de/panorama/kriminalitaet-dresden-gruenes-gewoelbe-einbruch-sachsen-verklagt-sicherheitsfirma-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230530-99-879504; Abfrage: 19.06.2023
Anm. 2: Wegen Einbruch in Grünes Gewölbe: Freistaat verklagt Sicherheitsfirma, in: MDR SACHSEN, 31. Mai 2023; Quelle: www.mdr.de/nachrichten/sachsen/dresden/gruenes-gewoelbe-klage-schadenersatz-sicherheitsfirma-104.html; Abfrage: 19.06.2023
Anm. 3: Einbruch in Historisches Grünes Gewölbe. Staatsanwaltschaft Dresden stellt Ermittlungsverfahren gegen vier Wachleute ein, Medieninformation Staatsanwaltschaft Dresden, 11.11.2022; Quelle: www.justiz.sachsen.de/stadd/download/Medieninformation_Einstellung_Wachleute.pdf; Abfrage: 19.06.2023
Anm. 4: Laura Meinfelder, Sachsen verklagt Security-Firma. Hätte der Juwelen-Coup verhindert werden können, wenn der Sicherheitsdienst sorgfältiger gearbeitet hätte? Das soll vor Gericht geklärt werden!, in: BILD. 30.05.2023; Quelle: www.bild.de/regional/dresden/chemnitz-news/einbruch-ins-gruene-gewoelbe-in-dresden-sachsen-verklagt-security-firma-84120486.bild.html; Abfrage: 19.06.2023
Anm. 5: Vgl. Berthold Schmitt, Mehr Geld, Technik und Know-how sind gesetzt. Kopien nicht ausgeschlossen. Bayerische Museen sollen sicherer werden, in: KulturBetrieb, eins 2023, S. 88 f.
Anm. 6: Vgl. Was ist eigentlich … das Bewacherregister?, in vorliegender Ausgabe von KulturBetrieb.
Anm. 7: Vgl. Berthold Schmitt, Auf Inhalt und Vermittlung kommt es an, nicht auf ein Stück Papier! Zertifikate sind kein Garant für Qualität und Passgenauigkeit, in: KulturBetrieb, eins 2022, S. 62 f.
Anm. 8: Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Referent Sicherheit (m/w/d), Herbst 2020; Quelle: www.museumsbund.de/stellenangebote/referent-sicherheit-mwd/ ; Abfrage: 17.12.2020
Anm. 9: Michael Deutschmann, Geheimbericht zum Einbruch ins Grüne Gewölbe „Wenig ausgeprägte Sicherheitskultur“, in: BILD, 06.02.2023; Quelle: www.bild.de/regional/dresden/dresden-aktuell/geheimbericht-gruenes-gewoelbe-wenig-ausgepraegte-sicherheitskultur-82798696.bild.html; Abfrage: 19.06.2023

Dieser Text wurde erstmals publiziert in KulturBetrieb, zwei 2023, S. 89 ff.